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Ironisch Gedanken zu einer Gürtelprüfung

„Sag mal, soll ich den Age Uke lieber so oder so machen?“ tönt es von der Seite und ich weiß nicht, was ich dem Gelbgurt raten soll, weil beides falsch ist. Vor drei Tagen erhielt ich den Einsatzbefehl eines befreundeten Dojo von deren Vereinsleitung („Hallo Peter, wir haben ganz vergessen Dir Bescheid zu sagen, .....), daß ich heute eine Prüfung abhalten soll. Haben die ein Schwein, daß ich flexibel bin.

Um 18.00 Uhr soll Beginn sein. Das erste Dojoratsmitglied erscheint auch pünktlich um 18.30 Uhr, um festzustellen, daß er seine Unterlagen erst noch holen muß. Die Einschreibeprozedur wird von allerlei Unbill begleitet. „Der hat seinen Ausweis vergessen, aber dafür seine Prüfungsurkunde auch nicht dabei. Kann er trotzdem?“. „Der hat vor drei Wochen erst Prüfung gemacht und möchte jetzt die nächste machen, weil er morgen in den USA eine Praktikumsstelle im Amt für schwindende Vorräte antreten muß?“.

Doch vor all diesen unsittlichen Anträgen schützen mich die allgegenwärtigen „Durchführungsbestimmungen zur Prüfungsordnung". Schließlich kann hier nicht jeder machen was er will. Wir sind ein freies Land! In Deutschland herrscht Ordnung. Und die Ordnungen eines Sportverbandes wiegen allemal schwerer als z.B. die Steuergesetze. In Deutschland hört man auf Ordnungen - schließlich haben uns Recht, Ordnung und Gehorsam Größe, Reichtum und zwei verlorene Weltkriege beschert - wer kann das schon von sich behaupten. Da sollen sich die „unordentlichen“ Länder mal eine Scheibe abschneiden    -    Malta  zum Beispiel.

Punkt 19.00 Uhr ist die Organisation abgeschlossen, von der heiligen Durchführungsbestimmung abweichende Prüfungsansinnen abgelehnt und es kann losgehen.

Alle stellen sich auf und erwarten einige gesalbte Worte von mir. Ich wiederum verlasse mich auf meine Intuition als Trainer darauf, daß mir rechtzeitig etwas einfällt, was es meistens tut  -  spätestens dann, wenn die Meute in Kamae steht und auf eine zu übende Technik wartet.

Wenn die wüßten wie lästig diese Prüferei sein kann. Es gibt ja Prüfer, die stehen auf so was. Für die ist Prüfersein eine Art Frankfurter Telefonbuch, auf das sie sich setzen und das ihnen hilft, ihr mickriges Ego größer erscheinen zu lassen. Die Prüferlizenz als Selbstwertprothese. Endlich mal Schicksal über andere spielen, auch mal wichtig sein und keiner merkt, daß man in der Firma die Pfeife und bei der Alten der Schlappschwanz ist. Das sind die, die sich in Prüferlehrgängen stundenlang über die Wichtigkeit der Prüfung für die Teilnehmer ergötzen können, in Wirklichkeit aber die Steigerung der Wichtigkeit ihrer Person meinen. Da wird heiß diskutiert, ob der Prüfer im Anzug oder Karategi erscheinen muß, ob er barfüßig, strumpfsockig (aber bitte ohne Löcher!) oder beschuht die Prüfung halten soll. Und es wurde beschlossen, daß ein Prüfer nicht mehr als 20 Prüflinge und nicht mehr als zwei gleichzeitig prüfen soll. Der ideale Prüfungsverlauf dieser Herren sähe so aus: 18.00 - 19.00 Uhr Huldigung des Prüfers durch die zehn Teilnehmer sowie deren Verwandten und der engeren Freunde. 19.00 Uhr nach Abzug der Weihrauchschwaden Beginn der Prüfung und Dauer bis 23.00 Uhr (damit für jeden Prüfling genügend Zeit bleibt   -   schließlich soll der sich wichtig genommen fühlen). Anschließend feierliche Diplomübergabe unter Mitwirkung des städt. Opernensembles und orgiastischer Ausklang mit den weiblichen Teilnehmern des Gürtelexamens unter sachkundiger Leitung des Prüfers.
 
Obgleich ich mich ohne Zweifel mit dem letzten Punkt anfreunden könnte, ist es mir reichlich zuwider, anläßlich von Gürtelprüfungen ein großes Bimbaborium abzuhalten und das allerschlimmste bedeutet für mich, jemanden nicht bestehen lassen zu können. Wie jenen z.B., der mich offensichtlich für einen javanischen Priester hält, einen balinesischen Fruchtbarkeitstanz vorführt und Stein und Bein schwört, das sei die Heian Nidan gewesen. Ein vorwurfsvoller Blick zum zufällig neben mir sitzenden zuständigen Trainer belehrt mich, daß der Tänzer im letzten Quartal eher zufällig am Training teilnahm und seine Ausbildung daher sehr fragmentarisch bleiben muß. Welcher Teufel hat den in die Prüfung geritten?

Selbstüberschätzung und Übermut befallen auch gerne unsere mediterranen Mitbürger wie diesen jungen Araber hier, der nach Aussage seines Trainers das ganze Jahr nur visuell am Training teilgenommen hat. Er stand immer nur an der Tür und hat die in der Nähe agierenden Sportler heftig verbessert.

Bei den Söhnen des südlichen Halbmondes und des milden Klimas bemerkt man immer wieder ein sportliches Talent, das genauso groß ist wie die Überschätzung des eigenen Könnens. Vielleicht liegt das an der söhne-verherrlichenden Kultur dieser Länder, in denen jeder Nachwuchspimmel die komplette Sippschaft in tagelanges Verzücken geraten läßt. Um einen Jungen, dem man pausenlos einredet, er sei das personifizierte göttliche Glück, hält es natürlich für unter seiner Würde, sich für eine Sache mehr anzustrengen, als es das Prestige des Kronprinzen erlaubt. Schließlich kann man ja Kraft seines männlichen Seins ohnehin schon alles - wozu es also noch erlernen.

Aber auch unter unseren Landsleuten gibt es einige, die glauben, man müsse ihnen alles nachwerfen oder es flöße ihnen Kraft göttlicher Eingebung zu. Das sind die, die schlecht vorbereitet zur Prüfung gehen, so daß man sie durchfallen lassen muß, sie dann aber erwägen, Rechtsmittel einzulegen und versuchen, mir klarzumachen, daß ich viel schlechtere als sie auch durchkommen hätte lassen und das wäre ungerecht und überhaupt - Scheiß Karate!

Ja, die gibt es wirklich, die schlechten, die trotzdem bestehen. Denen man ansieht (und nach fast 40 Jahren Karate sieht man das), daß sie ihr Letztes geben, aber ihr Körper nicht mehr hergibt. Die Talent durch unendlichen Fleiß ersetzen müssen und dennoch immer wieder schnell an ihre Grenzen stoßen, weil sie Probleme haben mit ihrer Koordination, der Motorik. Soll ich sie genauso behandeln wie die faulen Stinker, die können, aber nicht wollen oder denken, sie haben es nicht nötig?

Soll ich den Frustrationen, die sich für die „sogenannten schwachen“ Leute im Training ohnehin ergeben, noch eines draufsetzen? Tut mir leid, das bringe ich nicht übers Herz!

Wem schadet es, wenn diese als Ausdruck ihres Fleißes und Bemühens den nächsten Gürtel umschnallen, obwohl sie den Standard eigentlich noch nicht erreicht haben, vielleicht auch nie erreichen werden?

Warum den saisonallen Karatekas, der meint, mit 14 Tagen Training vor der Prüfung sei alles getan, genauso behandeln, wie den, der hart an sich arbeitet und um jeden Zentimeter Höhe bei seinen Fußstößen monatelang kämpfen muß?

Vielleicht ist das ungerecht  -  aber wer ist schon gerecht. Seid Ihrs?